WINTER INTERNATIONAL ARTS FESTIVAL 2017, SOTSCHI

21/02/2017 | Popmonitor

Foto: Molchanovsky Alexei

Noch bis zum 26. Februar feiert das WINTER INTERNATIONAL ARTS FESTIVAL seine zehnte Ausgabe im russischen Sochi. Etwa eine halbe Autostunde vom Olympiapark, in dem die Jugend der Welt sich 2014 zu den Olympischen Winterspielen versammelt hatte und der heute ein weitestgehend stilles Dasein fristet, bietet das 1938 nach Plänen von Architekt K. N. Chernopyatov errichtete, 2005 renovierte und erweiterte Winter-Theater für zehn Tage ein vielfältiges Programm. YURI BASHMET, künstlerischer Direktor des Festivals und als Dirigent und Bratschist der MOSKAUER SOLISTEN auch auf der Bühne in prominenter Rolle zu erleben, sieht die Philosophie des Festivals in der Kombination und Verquickung unterschiedlicher künstlerischer Spielarten formuliert. Die vier Abende, die wir auf dem Festival verbringen konnten (ein Tagesproramm gibt es nicht), haben gezeigt, dass dies für die Ausrichtung der einzelnen Aufführungen ebenso gilt wie für die Festspiele als Ganzes…

Foto: Molchanovsky Alexei

Am ersten Abend und noch vor der offiziellen Eröffnung des Festivals wurde mit VIKTOR KRAMERs inszenatorischer Interpretation von Antoine de Saint-Exupérys Meisterwerk Der kleine Prinz ein Publikumsliebling aus einer vergangenen Spielzeit neu aufgeführt. An ein internationales Publikum wurde bei Don’t Leave Your Planet nicht gedacht, Untertitel sucht man vergebens – braucht man aber auch nicht, denn die Geschichte um Freundschaft, Liebe und Leben bleibt auch an diesem Abend universell verständlich. Die Musik, die mit Elementen aus Gustav Mahlers Sinfonien arbeitet und deren Romantik ins Progressive und in die Klangmalerei weiterentwickelt (und auch mal abschweifen lässt), ist es sowieso. Kramer hat das Kammerorchester der MOSKAUER SOLISTEN unter der Leitung von Bashmet dem einzigen Darsteller auf der Bühne des prächtigen Winter-Theaters beigestellt und unterstreicht so die elementare Bedeutung der Musik für die Inszenierung auch optisch.

Foto: Molchanovsky Alexei

Das Gala-Konzert zur offiziellen Eröffnung hingegen durfte man als herbe Enttäuschung erleben. In dem in vier Werken von Mozart (dem „greatest god of music ever“, wie es im Programmheft unterkühlt formuliert war) verankerten Potpourri fanden Komposition, Interpretation und Publikum nie recht zueinander, die Lesarten der Solisten, die noch am Vorabend mit viel Lust am Spiel zu überzeugen gewusst hatten, wirkten häufig lustlos bis fahrig – was besonders bei Brahms’ wunderbar ambivalentem Adagio für Viola und Streicher in H-Moll jammerschade war. Einzig der finnische Pianist OLLI MUSTONEN, der insbesondere im allegro maestoso von Mozarts 21. Klavierkonzert in C-Dur die Dynamik des Werkes bis an seine Grenzen ausreizte und bisweilen auch durchbrach, arbeitete inspiriert und wusste das Publikum zu polarisieren – ein Zeichen von Lebendigkeit und ausgelassener Streitbarkeit an einem ansonsten blassen Abend.

Foto: Molchanovsky Alexei

Fulminant gestaltete sich hingegen die unter dem Namen Dreams Around The Opera firmierende Ballett-Nacht. DOROTHÉE GILBERT und JÉRÉMY-LOUP QUER, Prizipale der Opéra National de Paris, eröffneten den Abend mit einem anrührenden, erstmals 2015 in Florenz aufgeführten 45-minütigen Pas de Deux von GIORGIO MANCINI (Schüler des legendären MAURICE BÉJART) zu Wagners Tristan und Isolde, der mit Videoprojektionen multimedial verziert wurde. Noch höhere Wellen schlug allerdings der zweite Teil des Programms. Die in Pisa angesiedelte Compagnie der IMPERFECT DANCERS begeisterte mit ihrem lebendigen, vielschichtigen, ausgesprochen komplex angelegten Ballett Madame Buttefly’s Son und lotete die Tiefe der Bühne des Winter-Theaters ebenso aus das wie emotionale Spektrum der Choreographie von INA BROECKX und WALTER MATTEINE, die sich von einer eklektischen musikalischen Collage mit Elementen von Puccini, MAX RICHTER, Beethoven und PHILIP GLASS leiten ließ. Einen besonders bitteren Wermutstropfen allerdings musste man schlucken, denn die Musik kam vom Band. Eine – nicht undenkbare – Live-Orchestrierung hätte die Inszenierung endgültig zum Spektakel gemacht.

Foto: Molchanovsky Alexei

Den inszenatorischen Höhepunkt aber durften wir am vierten und letzten Abend erleben. Nicht dass wir mangels Russischkenntnissen auch nur ein Wort verstanden hätten, doch die Uraufführung von Fortunatissimo Or Hopelessly Happy Man, Bashmets Interpretation von Rossinis Barbier von Sevilla, war ein Fest der Sinne zwischen Oper und Kintopp, zwischen Licht- und Kochshow, zwischen Stierkampf und Vinifikation, kurzum: echter „Musiktheater-Wahnsinn“ (Programmheft) und ein grandioses Finale unserer Zeit am Schwarzen Meer. Darf man dem Programm der ersten vier Tage trauen, hat Bashmet eine Idee und einen Stil entwickelt, die das Festival auch über die nächsten zehn Jahre inspirieren und tragen werden.

Popmonitor
Дата публикации: 21/02/2017
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